Die Welt der Arbeit verändert sich rasant. Sie ist voller neuer Optionen. Doch Best Practices und Blaupausen, wie Belegschaften zusammengesetzt werden sollten und wie sie (auch mit ihren digitalen, maschinellen Counterparts) gut zusammenspielen, gibt es nicht. Es braucht den Mut zu Experimenten in der Praxis.

Unzählige Studien legen dar, was jedem von uns klar ist. Die Welt ändert sich. Sie wird komplexer, unberechenbarer, Entwicklungen verlaufen rasanter. Getrieben wird das von neuen Technologien, die aus der Welt eine Platine machen. Auf der ist alles mit allem verflochten und alles kommuniziert mit allem – Menschen mit Menschen, aber auch Menschen mit Maschinen und Maschinen mit Maschinen.

Das verändert fundamental unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und – quasi an der Schnittstelle hiervon – die Welt der Arbeit. Arbeit wird unabhängiger von Zeit und Raum. Die Geschwindigkeit, in der wir Ergebnisse erzielen, Entscheidungen treffen und Innovationen hervorbringen, nimmt rasant zu. Neue Fähigkeiten werden gebraucht, neue Berufsbilder entstehen. Menschliche Intelligenz tritt in Kontakt mit künstlicher Intelligenz, Arbeitskraft wird durch Maschinenkraft unterstützt oder ersetzt.

Die Transformation hat viele Treiber und Facetten

Zudem ändert sich unsere Einstellung zur Welt und zur Arbeit. Die Menschen suchen immer mehr Selbstbestimmung, Selbstvervollkommnung und Sinn in der Arbeit. Wertschöpfung wird nicht nur materiell gedacht, sondern zunehmend auch ideell. Verantwortung für Mensch, Gesellschaft und Umwelt zu übernehmen, ist nicht nur ein Gebot der Moral und Nachhaltigkeit, sondern auch ein Faktor für die Personalgewinnung.

Führung in Unternehmen und Organisation von Arbeit folgt neuen Logiken, die mit dem Effizienz- und Rationalisierungsstreben des Industriezeitalters zunehmend brechen. Hierarchien werden infrage gestellt und Silos aufgebrochen. Kreativität gewinnt im Innovationswettlauf ungemein an Bedeutung und verbündet sich mit Ingenieurstugenden und klassischer Prozessdenke.

Firmen sind keine festen Gebilde mehr

Die Firma ist längst nicht mehr das feste Gebilde, das ihr lateinischer Wortstamm („firmus“ bedeutet „stark, fest“) nahelegt.  Beschäftigungsverhältnisse werden neu gedacht. Unternehmen arbeiten mit festangestellten Kräften wie mit Freelancern, die sich für konkrete Projekte zusammentun und dann weiterziehen. Plattformen bringen Angebot und Nachfrage zusammen. Die „gig economy“ hat das Potenzial, Menschen zu mehr Selbstbestimmung, Selbstvervollkommnung und Sinn zu verhelfen, aber auch sie ins Prekariat zu stürzen.

All das wirft Fragen auf. Für eine Arbeitswelt voller Optionen sind zwei von besonderer Bedeutung: Wie werden wir effektiv zusammenarbeiten und wie werden Belegschaften – wenn dieser antiquierte Begriff es überhaupt noch trifft – am besten sich zusammensetzen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden? Beides ist eine Frage dessen, was im angloamerikanischen „Workforce Design“ heißt. Wie gestalten wir Arbeit, Arbeitsplätze und Arbeitskollektive in dieser Welt voller neuer Optionen?

Es geht um Experimente im Workforce Design

Antworten werden fieberhaft gesucht. In der Politik, in der Wissenschaft, in der Praxis. Doch sie liegen nicht auf der Hand. Blaupausen gibt es nicht und kann es nicht geben. Denn in einer zunehmend komplexen Fragestellung können die Antworten nicht länger trivial ausfallen. Was in der einen Gemengelage funktioniert, kann in einer anderen scheitern. Deshalb glauben wir an den Wert von Experimenten – und sind dabei nicht allein.

Die Personalvorstände führender deutscher Unternehmen haben in einem Positionspapier aus dem Jahre 2016 festgestellt: „Es gibt keinen Masterplan zur Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt, der alle denkbaren Entwicklungen bereits antizipieren und entsprechende Regelungen treffen könnte. Der Weg der Transformation führt vor allem über Experimente“.

„Der Weg der Transformation führt vor allem über Experimente.“ Positionspapier der Deutschen Personalvorstände

Die renommierte britische Managementprofessorin und Organisationsforscherin Lynda Gratton von der London Business School gibt zu Protokoll: „Zu experimentieren ist in einer zunehmend komplexen Umwelt erfolgsentscheidend.“ Ihr deutscher Kollege Hans A. Wüthrich von der Universität der Bundeswehr München sekundiert: „Die Arbeit am System – das Hinterfragen des Bestehenden und das verantwortungsvolle Experimentieren – wird zum erweiterten Aufgabengebiet von Führungskräften.“

Der Wert von kontrollierten Experimenten

Antoinette Weibel, Verfechterin des evidenzbasierten Managements und Direktorin des Forschungsinstituts für Arbeit und Arbeitswelten an der Universität St. Gallen, sieht Experimente als den Königsweg, um herauszubekommen, was an neuen Ideen funktioniert und welche Wirkung diese Ideen haben. „Nur mit Experimenten lassen sich ‚Wenn-Dann-Ketten‘ überprüfen“. Hinzukommt: Experimente generieren harte Fakten, die größere Investitionen in neue Herangehensweisen legitimieren helfen.

Auch in der Politik ist diese Botschaft angekommen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales fördert im Rahmen der Initiative „Arbeiten 4.0“ so genannte „Lern- und Experimentierräume“. Das Ministerium möchte damit Unternehmen und Verwaltungen zur Erprobung neuer Arbeitsweisen ermutigen und sie bei der Umsetzung unterstützen. Betriebliche Lern- und Experimentierräume seien ein Element einer „lernenden Arbeitspolitik“ und einer umfassenden Forschungs-, Innovations- und Transferstrategie.

„Machen geht vor Studieren“

In marktnahen Unternehmensbereichen ist das Experiment schon lange gang und gäbe. Produktentwickler und Marketer testen Ideen, bevor sie sie verwirklichen. Ihr Beispiel macht Schule. Den Grundsatz „Machen geht vor Studieren“ und damit das Verfolgen „kontrollierter Experimente“ haben große Firmen wie Microsoft oder Google in der Folge zum leitenden Prinzip aller Aktivitäten im Unternehmen gemacht.

„Wir wollen Experimente für eine Arbeitswelt voller neuer Optionen anstoßen, begleiten und die daraus gewonnene Erkenntnisse teilen und verbreiten.“ Die Initiatoren von Projekt 3T

Vor diesem Hintergrund haben wir Projekt 3T – Die offene Plattform für Workforce Design gestartet. Wir wollen Experimente für eine Arbeitswelt voller neuer Optionen anstoßen, begleiten und die daraus gewonnene Erkenntnisse teilen und verbreiten. Wir tun das nicht allein, sondern mit den besten und mutigsten Vorreitern, Vordenkern und Vormachern aus Theorie und Praxis, aus Unternehmen, NGO’s, der Forschung und der Politik. Auskunft hierzu gibt unsere Website.

Was es für Experimente braucht

Damit Experimente gewagt werden und zum Erfolg führen, müssen allerdings fünf Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Die Akteure brauchen Mut. Denn Experimente können auch scheitern, der Business Case ist oft nicht klar.
  • Die Akteure brauchen Rückendeckung. Risiken eingehen, Dinge ausprobieren – und das gegebenenfalls ohne direkt verwertbares Ergebnis – müssen positiv belegt werden.
  • Die Akteure brauchen Zeit und Ressourcen. Wer Routinen abarbeitet, hat weder Zeit noch Muße, Experimente zu konzipieren und sie umzusetzen.
  • Die Akteure brauchen Fokus. Was wie ausprobiert wird, muss klar definiert und auf eine konkrete Fragestellung ausgerichtet sein. Nur dann erzielt man Ergebnisse, kann Vorher und Nachher vergleichen und Ursache und Wirkungen ermitteln.
  • Die Akteure brauchen Expertise. Experimente zu entwerfen und durchzuführen, braucht Know-how, worauf zu achten ist und wie man es angeht. Noch wichtiger ist aber Erfahrung und Inspiration durch Menschen, die Ähnliches in anderen Kontexten bereits ausprobiert haben.

Was Experimente bringen

Was aber ist der Lohn des Mutes und der Mühe? Wir sehen ihn auf drei Ebenen:

  • Wer offiziell und gezielt im Unternehmen experimentiert und dies transparent gestaltet, schafft eine Kultur, in der Mut und Erneuerung großgeschrieben werden. Kontrolliert Risiken einzugehen und beständig zu lernen, werden zum Leitgedanken.
  • Wer experimentiert, gewinnt Einsichten und lernt. Selbst wenn das Experiment zu keinen direkt verwertbaren Lösungen für das gestellte Problem führt. Nur so ist Fortschritt machbar.
  • Wer Experimente systematisch angeht und sich auf jene mit einer geschätzten Erfolgswahrscheinlichkeit größer 50 Prozent einlässt, hat gute Chancen, zukunftsfähige Lösungen für Herausforderungen zu finden, für die es keine Good Practices oder Blaupausen gibt.

Alles halb so wild

Die nötige Haltung zum Thema „Experimentieren“ hat dabei niemand schöner veranschaulicht als der holländische Managementvordenker Jürgen Appelo in seinem „Celebration Grid“:

Warum zu experimentieren selbstverständlicher sein sollte, als es in der Welt der Arbeit und Wirtschaft (noch) ist, bringt das Team der Musterbrecher um Professor Hans A. Wühtrich auf den Punkt: “Nicht alles was wir ausprobieren, funktioniert. Aber alles, was funktioniert, wurde ausprobiert.“

Literatur /Quellen zum Thema: